Auf meinem Weg zur Arbeit fährt der Bus am Sozialmartk in der Neustiftgasse vorbei. Um diese Uhrzeit bilden Menschen lange Warteschlangen vor dem Geschäft – sie stellen sich an, um günstige, für sie wahrscheinlich die einzig leistbaren, Lebensmittel einzukaufen.
Das Schlange stehen um Lebensmittel kennen wahrscheinlich manche von ihnen noch aus ihren Heimatländern, aus dem ehemaligen Ostblock. Ich mutmaße das weil ich weiß, dass viele der „Zeitungsverkäufer", die man (in Wien) vor Supermärkten antrifft, die eigentlich eher den Namen Bettler verdienen (ohne das abwertend zu meinen), unter anderem aus Rumänien kommen. Da ich selbst aus diesem Land stamme, verstehe ich sie, wenn sie sich miteinander unterhalten – manchmal erkenne ich sie auch in der Straßenbahn oder im Bus wieder, oder sehe sie abends beim Billa – wenn sie an der Kassa bezahlen, tun sie das oft mit einem Beutel Kleingeld, der oft aus 10 und 20 Cent Stücken besteht – da ist die Kassiererin erst mal eine Weile mit zählen beschäftigt.
Und deshalb könnte ich mir gut vorstellen, dass manche diese Menschen beim Sozialmarkt einkaufen. Und vorher stehen sie Schlange. Schlange stehen um Lebensmittel zu bekommen… Warum kommt mir das so bekannt vor?
Man sagt ja auch, Extreme berühren sich an ihren Endpunkten. Ich habe mir das immer als zwei Strahlen vorgestellt, die an einem Punkt auf der Erde in entgegengesetzte Richtungen starten, diese umrunden, und auf der anderen Seite wieder aufeinander treffen.
Also muss der Kapitalismus wohl schon an seinem Extrem gelangt sein, wenn er das reproduziert, wofür der Kommunismus immer berühmt war.
Damals – ich habe es als Kind noch erlebt und kann mich gut daran erinnern – waren in Rumänien viele Lebensmittel rationiert. Man bekam nur eine gewisse Menge pro Haushalt. Und auch das nur, wenn man sich früh genug anstellte um noch etwas zu erwischen, bevor es aus war. Meine Eltern erzählten mir später, dass es besonders deshalb so störend war weil es extrem viel Zeit und Planung in Anspruch nahm. Außerdem erhielt man dadurch das Gefühl, von jemandem kontrolliert zu werden. Man konnten nicht über seine eigene Zeit selbst bestimmen, ja nicht einmal darüber, wann man Lebensmittel kaufen gehen wollte.
Zurück nach Wien, zurück in die Gegenwart. Wie fühlen sich wohl diese Menschen? Die Menschen, die nicht einfach irgendwann irgendwo etwas zu essen kaufen können – offensichtlich nehmen sie in Kauf am Sozialmarkt Schlange zu stehen. Die Schlange ist oft so lang, dass sie sich vom Eingang, der erhöht liegt, über die Stufen bis hinunter zur Straße zieht. Das sind, geschätzt, mindestens 20 Menschen, die da oft stehen. Keine Kurze Schlange, also. Fühlen sie sich auch kontrolliert? Hilflos? Ausgeliefert?
Und was sagt diese Schlange über unser politisches System aus? Ist es wirklich noch eine echte Demokratie? Ist sie noch sozial und gerecht? Oder hat das System aufgehört uns zu dienen und sind wir jetzt die Dienenden des Systems?
PS: Eine der Bedingungen für eine Einkaufsberechtigung im (wiener) Sozialmarkt ist der angemeldete Wohnsitz in Wien, Infos unter www.hilfswerk.at
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