Sonntag, 5. April 2015

Warum sich mache vielleicht wieder mehr Disziplin wünschen und warum ich das für falsch halte

Zufällig bin ich über diesen Mann gestoßen, besser gesagt über einen Artikel von ihm: Michael Winterhoff, ein Kinder oder Familientherapeut. Er schreibt, dass sich heutige Kinder zu Narzissten entwickeln werden, dass sie Tyrannen sind und dass man bloß nicht auf ihre Wünsche eingehen dürfte, sonst würden sie verzogen werden.
"800.000 Bücher hat Michael Winterhoff, der selbst Vater von zwei Kindern ist, in den vergangenen sechs Jahren verkauft. Alle großen Zeitungen und Magazine haben über ihn geschrieben oder ihn interviewt."(Zitat zeit.de)

Wenn ich solche Dinge lese, werde ich zuerst eines: stutzig. Dann habe ich ein bisschen recherchiert. 


Ein anderer Thrapeut, Wolfgang Bergmann, sagt über diesen Mann: "Winterhoff und Bueb, sind Hervorbringungen einer neuen kalten Erziehungskultur. Dagegen muss man Kinder und Familien schützen." und in einem anderen Artikel steht: "Das ist erstaunlich [die Aussage Werhoffs, dass Kinder zu Despoten werden; Anm.], denn der Erfolgsautor belegt seine Thesen fast ausschließlich mit Beobachtungen aus seiner eigenen Praxis. Er erzählt von einem Mädchen, das sich übergibt, wenn es nicht seinen Willen bekommt, und von einem Jungen, der jedes Zubettgehen zu einem mehrstündigen Drama macht. Das ist etwa so, als schriebe ein Gefängnisdirektor ein Buch über die Moral der Gesellschaft und führte als Nachweis die Verbrechenskarrieren seiner Häftlinge an."

Und ich habe das Gefühl, wir kommen der Sache schon näher. Denn wenn ich Menschen so reden höre "Früher hatten Kinder, die in die erste Klasse kamen, die Schulreife. Sie konnten vier Stunden lang auf einem Stuhl sitzen, zuhören und akzeptieren, dass die Lehrerin das Sagen hat. Heute leben sie lustorientiert im Moment und meiden jegliche Anstrengung. Wie sollen die dem Schulstoff folgen können, wenn sie nie gelernt haben, still zu sitzen, zuzuhören oder etwas zu tun, worauf sie keine Lust haben? Ihr Entwicklungsdefizit macht es unmöglich, dass sie ihre Intelligenz ausschöpfen.“ (Zitat Winterhoff), da muss ich daran denken, dass da wohl jemand Angst hat. Angst, alte Machtstrukturen könnten aufbrechen, Angst die Kontrolle zu verlieren. Der gute alte Frontalunterricht - ohne Wiederrede. Moment. Warum sollen wir uns den wieder zurückwünschen, falls wir es endlich schaffen würden, ihn wegzubekommen? Viele Menschen, die sich mit Wissensvermittlung (Schule) und Entwicklung beschäftigen, plädieren pochend darauf, dass wirkliches lernen nur durch selbst ausprobieren und Erwecken der Leidenschaft für ein Thema erfolgen kann. (Das muss ein Horror für Winterhoff sein). Einer der bekanntesten, der sich dafür einsetzt, Kinder eigene Erfahrungen machen zu lassen, ist Gerald Hüther. Seine Vorträge sind genial und öffnen einem die Augen (und das Herz). 

Ich glaube nicht daran, dass sich Kinder vorgenommen haben uns fertig zu machen. Oder dass sie es tun würden, wenn man sie nur ließe. Viele Kinder sind höchst empathisch, mitfühlend und fürsorglich. Das kann ich immer wieder beobachten, obwohl ich selbst keine Kinder habe.

Vielleicht sollte sich Herr Winterhoff überlegen, wie die Störungen seiner Patienten noch zu Stande kommen könnten. Einige Ideen: Größer werdender Druck in der Schule und aus der Gesellschaft. Förderung und Forderung von Konkurrenz. Erwartungen der Eltern - möglicherweise die falschen oder übertrieben hohe? Psychische Störungen, die ihre Ursache in Vernachlässigung oder woanders haben könnten? Es gibt unglaublich viele Gründe, warum ein Kind die Kooperation einstellen könnte. Aber irgendwie kann ich mir nicht vorstellen, dass es daran liegt, dass es zu viel Liebe bekommt. Liebe in Form von Aufmerksamkeit und Ernst-genommen-werdens. 
Seine Lösung: Mehr Strenge und Disziplin muss her! Es leben die 50er Jahre. Vielleicht ist er Nostalgiker...

Was noch Besorgnis erregender ist: Viele Menschen heißen diese Ideen à la Winterhoff willkommen. Endlich, mehr Disziplin! Diesem Menschen will ich sagen: ist es das, was ihr euch als Kinder gewünscht habt?

Warum soll es falsch sein, Kindern, soweit möglich ihre Wünsche zu erfüllen? Oder befürchtet ihr gar, dass sich unsere Gesellschaft wegentwickeln könnte vom bloßen Funktionieren? Weg vom bloßen Pflicht-erfüllen, hin zu mehr Leben, mehr Ich-bin-wichtig und Meine-Wünsche-und-Träume-haben-eine-Berechtigung? 
Also ich wünsche mir für eine zukünftige Gesellschaft, dass sie die Wünsche der Kinder ernst nimmt. Und dass sie dadurch lernt, was wichtig im Leben ist. Nämlich nicht bloßes Funktionieren, Disziplin und Pflichterfüllung, sondern hin zum leben und zum fühlen, wie es einem dabei geht. Vielleicht kann diese Gesellschaft dann auch endlich wieder lernen, dass es auch noch eigene Wünsche und Träume gäbe, die es Wert wären, ihnen nachzuspüren.

In diesem Sinne: auf den Ungehorsam!

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