Mittwoch, 25. März 2015

Ein Menschenrecht auf Fernsehen?

In einem Baucontainer, auf einer Baustelle irgendwo am äußersten Rand von Wien. Dort, wo die Stadtgrenze verläuft und keine U-Bahn und auch nur mehr sehr wenig Busse hinfahren - was der Wiener als „Pampa“ ansieht.
Es ist also 9.00 Uhr. Wir sitzen also in diesem Baucontainer, gleich fängt die Baubesprechung an. Bauleiter und Polier sind da, der Bauherrenvertreter, meine Wenigkeit und mein Chef, also die Architekten auch. Wir warten nur noch auf die Statiker. 
Die Stimmung ist noch entspannt - es wird ein bisschen gescherzt und der ein oder andere Kaffee am Automaten zubereitet, da erscheint unerwartet eine große Gestalt in der Tür. Ein Mann. Niemand kennt ihn, jeder denkt, der wird wohl zu den jeweils anderen gehören. 

Da beginnt er auch schon zu reden und kommt ohne Umschweife zum Punkt: „Gestern hob i scho’ wida kan Fernsehempfong g’hobt. Eichrer Kran is sch wida so deppart do gstond’n."

Alle schauen verdutzt. Es stellt sich nach einigem hin und her heraus, dass es ein Anrainer ist. Der Polier erklärt es, ein Kran muss, wenn keine Aufsichtsperson da ist, z.B. in der Nacht, frei gestellt werden, das heißt so, dass er sich im Wind drehen kann. Er ist also nicht in der Drehung eingeschränkt. Es kam wie es kommen musste - dieser Nachbar wurde - SCHON WIEDER -  in seinem „Fernsehrecht“ gestört. Es wurde ihm die Lage erklärt. Doch er meinte der Kranfahrer hätte sich nicht an seine Bitte, oder vielmehr Anweisung, gehalten, den Kran in den Wind zu stellen, so dass sich dieser nicht drehen würde. Es wurde ihm gesagt, dass der Wind auch drehen könnte, keiner könne kontrollieren, wie sich der Kran bewegen würde. Doch er bestand auf seiner Version. Wir, bzw. die Baufirma, seien Schuld, dass er des Abends nicht fernsehen könnte. Die Herren zeigten sich seiner Meinung nach uneinsichtig - sie konnten ihm einfach nicht versichern, dass so etwas nicht mehr vorkommen würde. 

Also ging er zur Drohung über: „I kann eich den Kron a obaun lossn“, meinte er voller Selbstbewusstsein. – Und da, in diesem Moment, wurde mir der Irrsinn und die Absurdität der Situation bewusst: Dieser Mann war im absoluten Glauben, dass jemand den Kran abbauen oder umstellen lassen würde, damit ER ungestörten Fernsehempfang hat!

Fernsehen! Wie wichtig kann jemandem fernsehen sein?

Während die Situation, die Argumente sich immer wieder wiederholend, fortfuhr, formten sich in meinem Kopf, ohne dass ich es wollte, ein paar gute Antworten, die offenbar klar im Raum stehen mussten, die sich aber keiner auszusprechen traute:
„Hören Sie, einige Menschen haben wirkliche Probleme."
„Wie wär’s wenn sie einfach mal an die frische Luft gehen und sich die Welt anschauen, anstatt fernzusehen?“ oder in gespielt professionellem Ton:
„Ja, gut. Wir werden sofort alles in unserer Macht stehende tun, damit so etwas nie wieder vorkommt. Wir werden sofort die Baustelle einstellen, den Kran abbauen und eruieren, wo die geeignete Stelle für den Kran ist.“ (So eine Aktion bewegt sich ja auch nur im zig Tausend Euro Bereich.)

Ich musste mir fast auf die Zunge beißen um nicht loszulachen oder wirklich zu antworten. Aber irgendwann war es durchgestanden. Der Bauherrenvertreter versicherte ihm, sie würden sich darum kümmern. De facto, weiß ich nicht, wie man so eine Störung verhindern könnte.

Später dachte ich auch noch darüber nach, ob es ungerecht war, dass ich sein Problem als lächerlich ansah. Ich dachte darüber nach, in wie fern man ihn und sein Problem ernst nehmen müsste.

Doch ich kann nicht umhin - wir (eine ganze Mannschaft, Baufirma, Statiker, Bauarbeiter u.v.m.) strampeln uns ab ein Projekt auf die Beine zu stellen. Wir bauen Wohnhäuser für Menschen. Wir versuchen unser Möglichstes alles so zu bauen, dass man später gerne und komfortabel in diesen Wohnungen leben wird. Wir haben tagtäglich mit Problemen zu kämpfen, die uns wirkliches Kopfzerbrechen, Frustanfälle, kleinere und größere Streitereien und Strapazen bereiten. Und da kommt jemand und beschwert sich nicht fernsehen zu können - tut mir leid - ich kann das immer noch nicht ernst nehmen.

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